Die Berichterstattung der Berliner Zeitung über die Tour de France sieht in diesem Jahr anders aus. Anders als in allen anderen deutschen Tageszeitungen. Und das habe ich in einer Kolumne am 7. Juli 2007 so begründet:
Im Prinzip ist es einfach: Wer den Radsport-Zirkus als kriminell kritisiert, wer täglich die wahnwitzigen Ausmaße des Drogengeschäfts beschreibt, wer beständig auch die Verstrickungen von Journalisten, vor allem der öffentlich-rechtlichen Sender, in diesem mafiosen System brandmarkt, der muss irgendwann selbst die Frage beantworten, ob es noch angemessen ist, von der Tour de France zu berichten. So wie darüber diskutiert wurde, ob ARD und ZDF auf Tour-Übertragungen verzichten, muss zwingend gefragt werden, ob nicht auch eine Tageszeitung inne halten sollte. So viel Ehrlichkeit muss sein.
Im Prinzip ist die Lage vertrackt: Denn es ist klar, dass auch ein Blatt wie die Berliner Zeitung, die seit 1997 Stammgast ist bei der Tour de France, mit ihrer Berichterstattung Teil einer Verwertungskette wurde – und damit letztlich selbst Promotion betrieb für eine verkommene Branche. Dieser Mechanismus ist nicht wegzudiskutieren, so sehr wir uns in den vergangenen Jahren um Abstand bemüht haben und um einen Blick hinter die Kulissen.
Im Prinzip ist der Umgang mit der Spritztour der Radprofis kompliziert. Kann man sich für einen aufrechten, unabhängigen Sportjournalismus einsetzen, der nicht Promoter von Ereignissen sein will, sondern kritischer Begleiter; der mehr im Blick hat, als nur eine Unterhaltungsfunktion zu erfüllen? Und dann doch wieder, wie üblich, von der Tour berichten? Über die täglichen verlogenen Dramen, die gefallenen und neuen Helden, die wenig später mit gespenstischer Regelmäßigkeit als Betrüger enttarnt werden? Kann man ständig nur den als Journalisten getarnten Marktschreiern vom Fernsehen die Schuld zuweisen, die in der Tat lustvoll am Lügengebilde mitgebastelt haben, und sich selbst auf der sicheren Seite wähnen?
Im Prinzip könnten wir uns hinter dem Allerwelts-Argument verstecken, Journalisten hätten Chronisten zu sein, im Auftrag ihrer Leser. Das stimmt selbstverständlich, aber es wäre zu billig. Denn es gibt Grenzen. Für das, was sich Radsport nennt, wäre ein täglicher Gerichtsreport die angemessene Form. Wir haben deshalb ausgiebig über Prinzipien diskutiert, darüber, ob wir in diesem Jahr überhaupt die Tour de France besuchen. Wahrscheinlich wäre nur das konsequent gewesen: Einfach einmal zu schweigen und die Branche mit Nichtachtung zu strafen. Aber Ausblenden ist auch kein journalistisches Kriterium, und deshalb haben wir uns für einen Kompromiss entschieden: Christian Schwager, der bereits acht Mal auf der großen Schleife war, wird zwar in diesem Jahr erneut bei der Frankreichrundfahrt vor Ort sein, aber die übliche Berichterstattung wird es nicht geben. Also: Keine Etappenberichte, keine Fotoserien, keine der üblichen Grafiken über die Schwierigkeitsgrade der Strecken, keine Folklore, die den Blick vernebelt auf das Wesentliche.
Im Prinzip werden wir uns auf diese Kolumne konzentrieren. An dieser Stelle wird Christian Schwager von Montag an täglich versuchen, das Ringen der Radsport-Branche mit ihrem fundamentalen Problem in Form eines Tagebuchs zu beschreiben: Die Tour und die Drogen, der Radsport und die organisierte Kriminalität, das und nichts anderes sind die Themen. Sollten die Drogenfahnder erneut im Peloton aufräumen, werden wir natürlich zusätzlich darüber berichten. Nicht weniger, aber auch nicht mehr als nötig. Diese Form der Berichterstattung, die gewiss nicht nur Freunde finden wird, erscheint uns in diesem Jahr angemessen. Die Aufräumarbeiten im Radsport haben gerade erst begonnen. Es mag einige positive Entwicklungen geben, aber es wird immer noch betrogen und gelogen, vertuscht und geschwiegen, geleugnet und verborgen, verheimlicht und bestritten.
Im Prinzip ist es so: Wer in Gelb fährt, ist völlig unerheblich.
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Das geht mir zwar nicht runter wie Oel, aber mit einer gewissen Genugtuung doch.
Der Radsport bekam 2006 endgültig den Ruf verpasst, der Dopingsport Nr. 1 zu sein. Man wurde das Gefühl nicht mehr los, als wollte man ein Exempel statuieren und den Radsport stellvertretend für den gesamten und scheinbar sauberen Sport „büßen“ lassen.
Wer damals Doping am gesamten System Sport festmachte, den Regelbruch im Radsport relativierte und so scheinbar den Radsport verteidigte, bekam nicht selten auch noch einen Platz in der Schmuddelecke.
Wenn Hajo Seppelt, einer der Protagonisten des medialen Anti-Doping-Kampfes – seine Zuschaltung zum Talk von Beckmann mit Ullrich ist noch gut in Erinnerung – zur Auffassung kommt, Schluss mit dem ewigen Radsport-Bashing, dann war der Weg zwar steinig, aber doch erkenntnisreich.
Heute „Geheimsache Doping“, ARD, 0 Uhr
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/1874717_ARD-Doku-Die-Spritzen-Sprinter.html?sid=08ec78eeb4d78ab74c0d50dd929486e6
http://www.tagesspiegel.de/medien-news/Geheimsache-Doping-Doping-Leichtathletik-WM-Angel-Heredia;art15532,2870658
Herbert,
Sein Chef sieht das aber ganz anders:
„Wir sind ja nicht blauäugig“
@ Walter
Da ist Hajo Seppelt wahrscheinlich zu weit vorgeprescht und bestätigt en passant dieses glaubhafte Axiom seines Chefs ;).
Für wie **** hält man die medialen Konsumenten eigentlich ?
Wie schon oft empfohlen: Nichts ernst nehmen, was von Fernsehleuten oder wie Jens oben vor zwei Jahren schrieb:
über die eigene Sportberichterstattung erzählt wird.
Das kann nicht klappen, da ist Geld bezahlt worden, da sind Interessen im Spiel.
Ich freue mich übrigens, dass obiger Text vom Hausherrn neue Kommentare bekommt, denn er war damals mein erster Kontakt mit dieser überaus lesenswerten Web-Seite.
Der Satz „Wer in Gelb fährt, ist völlig unerheblich“, geht mir seitdem manchmal durch den Kopf, denn er kann auch ganz anders funktionieren als von Jens gemeint.
Nämlich so, dass das Faszinosum Sport (und vor allem Radsport) immer mehr ist als die Suche nach dem Sieger.
In diesem Sinne: Viel Spaß beim Berliner Spektakel, liebe Leute, und schreibt in den nächsten Tagen nicht nur über Bolt. :-)
Natürlich braucht Wernher Johannsen nichts vorzuschreiben: Sind doch immer alle über jeden Zweifel erhaben – bei den Öffentlich-Rechtlichen.
Aus Leichtathletik-Sicht sollte man sowieso sehr sehr vorsichtig sein:
Zehn Prozent von 500 genommenen Blutproben hätten auffällige Hämatokritwerte bis zu 58 Prozent aufgewiesen, musste der IAAF-Chefmediziner Juan Manuel Alonso bei der WM 2007 in Osaka zugeben.
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0814/leichtathletikwm/0008/index.html
HTC von 58.. klingt nach Tour de France 1996 – ist aber Leichtathletik 2007. Na sowas.
Vielleicht wäre es an der Zeit, dass sowas mit der LA-WM wiederholt wird. :-)
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