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Das Olympische Bildungsmagazin

Peking, Tag 1

10.53: Landung in Peking mit LH722 aus München. Als ich im April hier war, hat es vom Flieger bis ins Hotelzimmer sensationelle 45 Minuten gedauert. Allerdings mit dem Butler-Service des China World Hotels, das gebe ich zu. Diesmal stehe ich nach 45 Minuten erst am Gepäckband. Putzig aber, dass Denis Oswald aus der Schweiz, Welt-Ruderpräsident und Mitglied des IOC-Exekutivkomitees, bei der Passkontrolle minutenlang aufgehalten wurde und ebenso am Gepäckband steht.

Irgendwas haben die Chinesen nicht richtig geplant, denn so ein IOC-Offizieller wird normalerweise als Edel-VIP von seiner 1. Klasse irgendwie durchgelotst. Die Akkreditierungen, die auch als China-Visum gelten (so hat es das IOC mit allen Ausrichtern geregelt), müssen nur an einem von zahlreichen Ständen aktiviert werden. Keine großen Wartezeiten. Diese Regelung gibt es, wenn ich mich recht erinnere, seit 1998 in Nagano. 1996 in Atlanta musste man noch stundenlang in einem Akkreditierungszentrum verbringen.

11.58: Der Rekord vom April ist natürlich nicht zu brechen. Aber kaum habe ich sieben Chinesen gesagt, dass ich ins Poly Plaza Hotel muss, habe ich auch schon einen Bus für mich ganz allein. Liu Lei, eine Studentin chinesischer Medizin, wird mich begleiten. Sie sagt, wir fahren in ungefähr zehn Minuten los.

Leerer Bus von Innen

Noch ist Platz für alle.

12.08: (So viele Einträge wird es künftig natürlich nicht geben.)

Wenn Liu Lei zehn Minuten sagt, meint sie auch zehn Minuten. Der Bus ist leer, nur der Fahrer, Liu Lei und ich. Sie erzählt, dass sie nun schon drei Tage hier wartet – und ich an drei Tagen erst ihr zweiter Passagier bin. Das wird sich in den nächsten Tagen kolossal ändern. Was mir auffällt: Vom Flughafen bis weit in die Stadt hinein fahren wir praktisch durch einen Wald. Die Streifen an der Autobahn sind grün. Mir ist schon im April aufgefallen, dass die Chinesen sogar 20 Meter hohe Bäume angekarrt haben. Nicht tausende, offenbar zehntausende davon. Und viele, viele Quadratkilometer Rasen haben sie ausgelegt. „Trees, yes“, sagt Liu Lei: „so many changes!“

13.03: Sitze in meinem Zimmer, in dem ich bis 27. August hausen werde, und probiere natürlich gleich die Internetverbindung aus, noch bevor die Koffer ausgepackt werden. Lan-Verbindung ist im Preis inbegriffen. Alles sehr langsam, schätze gerade mal doppelte ISDN-Geschwindigkeit, wenn ich bedenke, dass manche Seiten 30 Sekunden brauchen. Aber, ein kleines Wunder, der Zensur-Test ergab: Reporter ohne Grenzen ist erreichbar. Amnesty International ebenfalls.

Erstaunlich, da war bisher Funkstille, auch im April 2007 und 2008. Derlei Neuigkeiten bleiben natürlich nicht verborgen, schon teilt mir die New York Times via RSS mit: Restrictions on Net Access in China Seem Relaxed. Wir werden sehen.

17.30: Vor dem Beijing-Hotel, wo IOC-Exekutive und die 120. IOC-Session tagen, gibt es für langjährige olympische Berichterstatter zusätzlich zur Olympia-Akkreditierung einen „IOC Media-Pass“, der zum Zugang zum Beijing-Hotel berechtigt. Dummerweise finden die täglichen Pressekonferenzen zum Exko und zur Session allesamt im Main Press Center (MPC) statt, rund eine halbe Stunde mit dem Taxi entfernt. Wer also im IOC-Tagungshotel lauert, hat keine Chance, bei der PK rechtzeitig im MPC zu sein.

Zudem: Erstmals ist das IOC-Hotel (die Herrschaften nächtigen im Raffles, das mit dem Beijing-Hotel-Komplex vebunden ist) bei Olympischen Spielen für Reporter gesperrt, da helfen auch zwei Ausweise nicht, die mir um den Hals baumeln. Sogar im George-Bush-Land war das IOC-Hotel, das Little America in Salt Lake City, ein halbes Jahr nach 9/11 problemlos zugänglich. Man könnte sagen: Es wird schwerer, im IOC-Machtbereich vernünftig zu arbeiten.

18.35: Der Wlan-Zugang im MPC und allen Sub-Pressezentren kostet rund 350 Euro. Gezahlt wird mit der Karte des IOC-Sponsors Visa.

(Ich war 1992 so dumm und hatte nur eine Mastercard, die nie akzeptiert wurde. Für verschiedene Großereignisse empfiehlt es sich, mehrere Karten bereit zu halten.)

Bezahlt wird beim BOCOG-Sponsor Bank of China. Alles geht sehr schnell, in der Bank of China wartet ein Dutzend Mitarbeiter auf einen Irren, der sein Geld loswerden möchte. Der Preis ist ärgerlich, doppelt so teuer wie 2006 bei den Winterspielen in Turin, allerdings nur ein Bruchteil jener vierstelligen Wahnsinnssumme, die man bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland für ein ähnliches Paket hätte berappen müssen.

Dafür war wenigstens das Telekom-Netz unzensiert (wurde aber vielleicht kontrolliert?), das Internet in Peking aber bleibt unter Kontrolle. Kollegen sagen, am Morgen hätte man noch „Falun Gong“ googeln können. Als ich es im MPC mit Wlan versuche, ist Google sofort gesperrt. Reporter ohne Grenzen, Amnesty (siehe oben) und Human Rights Watch funktionieren allerdings auch im MPC.

19.03: Achtung, Schleichwerbung. Was will man machen. Der Hunger treibt’s rein, das Zeug des IOC-Sponsoren McDonald’s. Etwas anderes habe ich im MPC noch nicht gesichtet – Rechercheaufgabe für morgen.

19.45: Ich schreibe ein Stück über Internetzensur, Kevan Gosper und die desaströse Kommunikationspolitik des IOC. Und wundere mich über den Chefredakteur des Sportinformationsdienstes, Dieter Hennig. Der Herr Kollege dichtet folgende Überschrift für seinen Bericht:

Olympia-Gastgeber China hebt Internet-Zensur auf

Er schreibt einen Kommentar dazu, in dem es u.a. heißt:

Die Urteile waren schon gefällt, ehe der Fall abgeschlossen war. Chinas anhaltende Internet-Zensur hatte die Wut der Medienwelt nicht nur über die Gastgeber der Spiele hereinbrechen lassen, sondern auch über das IOC. Gefeuert wurde aus allen Rohren nach dem Motto: auch mit Platzpatronen kann man Pulverdampf erzeugen und den Blick vernebeln.

Wenn ich mich recht erinnere, dann hat der Kollege auch im April, als er die IOC-Exekutivtagung in Peking aus der Ferne kommentierte, ein Sieg des IOC auf der ganzen Linie herausgearbeitet und den Fackellauf durch Tibet und anderswo verteidigt. Das ist natürlich kein Zufall. Diese Halluzinationen kann ich mir eigentlich nur mit einem vernebelten Blick erklären. Es ist nämlich so, und das ist kein Witz: Dieter Hennig läuft kommende Woche in Peking mit der olympischen Fackel. Er gehört zu jenen Journalisten, ich glaube, es waren sechs, die vom IOC dazu auserkoren wurden.

21.30: Gerade schickt mir ein Kollege einen interessanten Link. Ein Nachtrag zu einem Beitrag von Report Mainz, auf den ich die Tage schon verweisen wollte und den man hier sehen kann (ich kann das nicht wirklich, weil die Verbindung zu langsam ist), in dem es über die Informationspolitik des IOC und den Umgang mit Journalisten geht. Die Peking-Richtlinie für IOC-Mitglieder, Vorschläge für Antworten auf ganz normale Fragen, stellen die SWR-Kollegen dankenswerter Weise online bereit. 48 Seiten, pdf – unbedingt lesenswert!

23.29: Das sollte für heute reichen. Zum Schlafen bin ich aber zu müde. Hinter dem raumhohen Regal, in den bald Ergebnislisten einsortiert werden, sitzt noch ein berühmter Reporter einer süddeutschen Zeitung. Ich glaube, wir werden jetzt chinesisches Bier testen.

Nachtrag um 02.28: Das hat etwas gedauert.

22 Gedanken zu „Peking, Tag 1“

  1. Na bitte: Die journalistische Aufregung ist umsonst gewesen. Wenn die Chinesen sagen, es gibt keine Zensur, dann gibt es auch keine Zensur. Und genauso sicher ist, dass wir die saubersten Spieler aller Zeiten mit den schärfsten Dopingkontrollen erleben werden. Und dass China die Nationenwertung gewinnen wird, liegt ausschließlich am Heimvorteil. Ich freue mich auf fabelhafte Weltrekord – und auf das Tagebuch, das diese Fabelhaftigkeiten als Betrügereien entlarvt.

  2. Pingback: Die Internetfrage oder: “falsche Voraussetzungen” : Jens Weinreich

  3. was mich interessieren würde, wieviel hat das wlan-paket damals bei der wm gekostet? Heutzutage könnte man ja als Einheimischer notfalls ein UTMS-Paket holen (25 Euro kostet die Flatrate bei Base und O2).

  4. Guck mal an, da hat sich die jahrelange SID-Treue mit Dr. Bach also für den guten Dieter Hennig also gelohnt. Läuft Ex-SIDler Graus auch mit und wann fackelt unser IOC-Vize denn, etwa auch in Peking oder etwa live im Vogelnest?

  5. Pingback: Olympia-Tagebuch: Sport, Internet, Zensur, China | ethority weblog

  6. Pingback: Die_Farmblogger

  7. @ hot: ich habe die preise jetzt nicht mehr gefunden. zu hause habe ich die alte preisliste. will mich vorsichtig ausdrücken, damit die telekom nicht mit mir schimpft: ich meine, allein ein lan-zugang für ein wm-spiel auf der tribüne kostete etwa 150 euro. dieser zugang galt wiederum nicht in den stadien-pressezentren. ich hatte das laut preisliste damals mal hochgerechnet und kam, für alle zugänge an allen orten und stadien auf eine, vorsichtig erinnert, hohe vierstellige euro-summe. sobald ich die liste wieder finde, trage ich das nach und korrigiere auch nach unten, falls nötig. ich bin damals selbst meist mit base online gegangen. manchmal gab es leider aussetzer, deshalb, wenn man im stadion aktuell zeitung macht um kurz vor mitternacht, habe ich für mich und meine kollegen, sicherheitshalber einige male – halbfinale, endspiel – die lan-verbindung gebucht.

  8. cool. ich denke, das war das. das ausverschämteste, was ich je bei einer sportveranstaltung erlebt habe.

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