10.01: Es ist dann doch wieder vier geworden gestern Nacht. Das typische Problem, und es wird noch schlimmer: Wenn man bis Mitternacht schreibt und macht, hat der Körper Probleme, sich gewissermaßen downzuloaden. Zu viel Adrenalin, zu aufgekratzt. Beobachte ich nun schon seit vielen Jahren bei solchen Anlässen, ob Leichtathletik, Fußball-WM oder Olympia. Man hackt bis zum Anschlag, bis Deadline, ellenlange Texte in seinen Laptop, kämpft und schwitzt und verzweifelt und versagt und fabriziert manchmal sogar was Ordentliches, für mich ist das auch eine Art Hochleistungssport – und dann dauert es halt einige Stunden, bis der Motor wieder kalt geworden ist. Aber es macht Spaß, ich habe mir sagen lassen, das könne nicht jeder von seinem Job behaupten.
11.32: Wieder im Pressezentrum, im MPC. Noch ziemlich leer, aber in Kürze wird es überfüllt sein. Die meisten Journalisten reisen erst kurz vorher an. Was die Chinesen organsiert haben, ist sehr clever, ich weiß nicht, wer ihnen den Tipp gegeben hat, aber es wird die Journalisten durchaus bezirzen: Denn die Wartezeiten an Sicherheitscheck sind bislang sehr kurz. Das liegt nicht nur daran, dass noch viele Akkreditierte fehlen. Normalerweise läuft das so: Die Reporter werden von Bussen zum MPC (oder zum IBC, dem International Broadcasting Centre) gekarrt, dann stehen dort eben mitunter Hunderte Menschen Schlange vor der Security. Hier läuft das so: Der Check wird gleich im Hotel gemacht. Wer an einem der offiziellen Medienhotels, dazu gehört mein Poly Plaza, in den Bus will, der wird gleich dort überprüft. Bei 200 Medienvertretern im Poly Plaza und Bussen, die alle halbe Stunde fahren, lässt sich ausrechnen, dass das nicht sehr lange dauern kann. Am MPC springt man raus und kann sofort an den Schreibtisch. Sehr gut. Denn ist ist ja so: Journalisten sind total gelassen und absolut uneitel, sie murren nie über ihre Arbeitsbedingungen und wollen überhaupt nicht zuvorkommend behandelt werden – das wissen auch die Chinesen, die zwar das Internet zensieren, sonst aber darauf achten, dass sie diese komischen langnasigen Reporter nicht sehr vergraulen. Der Herr Li vom Poly Plaza, der für Sicherheit und solche Dinge zuständig ist, dieser Herr Li also, kennt die meisten Reporter beim Namen. Wahrscheinlich kennt er auch meine Biografie. Einem belgischen Kollegen jedenfalls hat er Li schon einen Kommentar ins Blog geschrieben. Er liest mit. Besser so, als heimlich auf der Festplatte. Aber auch das soll vorkommen.
11.56: So, und jetzt schnell noch einige Leseempfehlungen, die ich teilweise schon gestern loswerden wollte:
- Wie immer gehört dogfood bei allesaussersport zur Pflichtlektüre. Er kümmert sich um das Thema, auf das ich hier bereits aufmerksam gemacht habe: den Umgang des IOC mit Journalisten und die internen Sprachregelungen zu kritischen Reporterfragen.
- Jacqueline Magnay, eine sehr kenntnisreiche australische Kollegin (ich empfehle jetzt schon ihre Artikel im Sydney Morning Herald), schreibt in der Canberra Times über den bevorstehenden Abschied von Kevan Gosper als Chef der IOC-Pressekommission, weil er IOC-Chef Rogge in Schwierigkeiten gebracht hat (mehr zu Gosper, der in dieser Sekunde mit der Frau Gemahlin an mir vorbei läuft, und der Internet-Debatte bei mir im Blog hier, hier und hier).
- Einen sehr interessanten Beitrag zum Thema olympische Pressefreiheit schreibt Marcel Grzanna, ein freier Journalist, der seit vergangenem Frühjahr in Peking lebt, auf seiner Webseite asienreporter.de.
- Und schließlich der Beta-Blocker Meta-Blogger Herr Niggemeier, der sich noch einmal den „Peking-Enten des sid“ annimmt. Siehe auch: Peking, Tag 1 und Die Internetfrage oder: „falsche Voraussetzungen“
15.52: Mein Handy hat eine Stadtrundfahrt gemacht. Es ist aber wohlbehalten zu mir zurück gekommen, ganz allein im Taxi. Wie es dazu kam, und wie drei deutsche Journalisten einigermaßen hilflos versuchten, eine chinesische Sim-Karte zu kaufen, erzähle ich später.
01.56: Nachtrag zur Handy-Geschichte: Deutscher allein in großer Stadt, sage ich nur. Man stelle sich einfach den dümmsten Gast in China vor, wie er mit Armen und Beinen versucht, sich mit einer Taxifahrerin, die sicher sehr gut Chinesisch aber kein Wort sonst spricht, zu unterhalten. Das muss scheitern. Aber sie hat wenigstens gelacht. Sie fand die drei Langnasen komisch, denn hinter uns saßen ja noch zwei Weitgereiste aus Süddeutschland, die zusammen ziemlich viele Sprachen sprechen – aber auch kein Wort Mandarin. Und irgendwann, wenn der dümmste Gast ein Foto geschossen und bezahlt hat, bleibt eben der HTC Touch Cruise auf dem Beifahrersitz liegen.
Doch der Reihe nach, denn Schuld ist: die chinesische Planwirtschaft, natürlich.
Im MPC, das für mehr als 5.000 Schreiber ausgelegt ist, gingen blöderweise schon am Sonnabend, also sechs Tage vor den Spielen, als vielleicht erst eine Tausendschaft Reporter vor Ort war, die Sim-Karten des Sponsors China Mobile aus. Nein, die Karten gab’s nicht umsonst, auch Sportjournalisten zahlen dafür. Die Organisatoren hatten einfach nicht so viele bestellt. So wie sie an der Freiluftbar schon jetzt oft sagen: „Sorry, we are out.“ Weil kein Bier mehr da ist.
Jedenfalls, wir wollten nicht vier Tage auf bestellte Sim-Karten warten und marschierten zum nächsten China-Mobile-Laden an einer Zufahrstraße zum Olympiapark (wie fast alle Straßen in dieser Gegend würde die in Deutschland als Autobahn durchgehen). Dort gab es auch keine Karten mehr. Der Verkäufer schickte uns und zwei Esten, die dasselbe Problem hatten, zu einem Laden irgendwo im Stadtmoloch, wo es ganz bestimmt Karten für internationale Telefonate geben sollte. Den Rest erspare ich mir. Dort konnte niemand was verkaufen, aber wenigstens telefonieren: Schon ging es beschwingt ins nächste Taxi zum nächsten Laden. Und so weiter. Irgendwann hatten wir tatsächlich: Sim-Karten. Nur fehlte mir plötzlich das Gerät zur Karte.
Bei den Sommerspielen in Sydney war ich schon mal so blöd gewesen. Vergangenes Jahr bei der Leichtathletik-WM in Osaka hat man mir im Pressezentrum den PDA geklaut. Diesmal war alles anders. Mein Handy war schon eine halbe Stunde unterwegs und hat sich mal unbeschwert in Peking umgesehen, da kam die rettende Idee: Die kleine, kaum lesbare Quittung der Taxifahrerin. Ein paar Telefonate der Verkäuferinnen mit der Telefongesellschaft genügten, dann sagte mir die Dame aus der Zentrale tatsächlich: „Ihr Handy kommt gleich vorbei, Sir. Maximal 20 Minuten.“
Wir waren kaum vor dem Laden, kam es angefahren. Ausflug gerettet. Allerdings hatten wir nur vier statt der erhofften sechs Telefonkarten. Denn mehr wollten sie uns nicht geben, wir hatten ja auch nur drei Akkreditierungen vorgelegt. 6 – 4 – 3? Wir begriffen es nicht, ersparten uns aber das Grübeln. Verstehe einer die Chinesen. Wichtig ist, mein Spielzeug, das all die schönen RSS-Feeds anzeigt und sich mit Outlook abgleicht, ist wieder da. Und sollte demnächst jemand in Peking Taxi fahren müssen: Ich kenne zwar nicht ihren Namen, aber die Dienstnummer der Handysitterin. 263772.
02.52: Die Internet-Verbindung im Hotel ist dermaßen langsam. Muss morgen mal meinen neuen Freund Hern Li fragen, ob er weiß, was da ständig auf meiner Festplatte rumort. Für heute reicht’s. Morgen mehr mit ersten sentimentalen Anwandlungen und Verschleißerscheinungen, auch mit putzigen Meldungen. Und übrigens: Morgen sehe ich wohl auch meinen Freund, den ahnungslosen Präsidenten.
Ich habe auch mein Handy vor einem Monat in einem Shanghaier Taxi liegen lassen und mir ein einziges Mal keine Quittung geben lassen. Vielleicht war es unterbewusst, damit ich das alte Ding loswerden konnte. Da ich chronischer Handy-im-Taxi-Vergesser bin, steht die Quote jetzt 4:1 für mich.
Die Kamera meiner Freundin hat auch eine Stadtrundfahrt gemacht und kam ebenfalls wohlbehalten zurück.
bin schon auf die geschichte mit den sim-karten gespannt.
Die IOC hat doch bestimmt irgendwelche Verträge mit Mobilfunkprovider abgeschlossen; können die im Rahmen der WLAN-Packages auch Handyprepaidkarten anbieten, wie z.B. die Telekom bei der WM (wenigstens etwas gutes).
Hmmm. Soldaten besorgen nachts ein Taxi für einen orientierungslosen Ausländer und ein vergessenes oder verlorenes Handy kommt zu seinem Besitzer zurück.
Das Land muss ja die Hölle sein…
Übrigens ist Tsingtao auch offizieller Sponsor der Sponsoren.
Siehe: http://en.beijing2008.cn/bocog/sponsors/sponsors/
was soll man machen. sponsor sein, heißt auch produkthoheit genießen.
Mein Tip zum Runterkommen: Irgendeine schimmlige Bar in fußläufiger Entfernung suchen, dort Feierabendbier trinken. Meinethalben auch Tsingtao, das ist doch durchaus trinkbar.
Das ein Gigant der Behandlung ernsthafter Themen wie sie, lieber Herr Weinreich, sich einen Kalauer wie „Beta-Blocker“ nicht entgehen lassen, empfinde ich wiederum als sehr beruhigend.
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