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Das Olympische Bildungsmagazin

Peking, der Start und ein Rückblick

Was soll man bloggen, wenn man ans andere Ende der Welt fliegt und doch mit Zeilenschreiben sein Geld verdient? Bleibt da noch Zeit? Bleibt da noch Kraft?

Mir ist die grandiose, nie dagewesene und total witzige Idee gekommen, dass ich einfach mal ein Tagebuch führen könnte. Ein journalistisches Tagebuch. Damit es die chinesischen Sicherheitskräfte einfacher haben – und damit mein zuständiges Finanzamt sich überzeugen kann, dass ich nicht zum Spaß in Peking war, wenn ich irgendwann einen Haufen Quittungen abrechne. Ich werde also ab heute für jeden Tag ein kleines Protokoll erstellen, aber sicher noch etliche andere Beiträge los werden wollen.

Bevor es los geht, zunächst aber ein kleiner privater Rückblick auf vier andere Olympische Sommerspiele, von denen ich berichten durfte. Einfach mal flink runtergeschrieben und mit diesem und jenem Link zu alten Texten versehen. Ich denke, dass ich in den nächsten Tagen noch einiges auf den Top- und Flop-Listen hinzufügen werde.

Es ist übrigens eine optische Täuschung, wenn jemand annehmen sollte, der Bursche auf den Akkreditierungsfotos sei etwas runder geworden im Laufe der Jahre.

JW Olympia-Akkreditierung Barcelona 1992

Barcelona 1992

Tops

  • Die Eröffnungsfeier.
  • Ronny Weller, der stärkste Pionier der DDR, holt Gold und schmeißt seine kiloschweren Gewichtheberschuhe ins Publikum – ein Wunder, dass niemand erschlagen wurde.
  • Franziska van Almsick.
  • Fußball im Camp Nou.
  • Dagmar Hase, die bis heute letzte deutsche Schwimm-Olympiasiegerin.
  • Die Nächte auf dem Montjuïc über der Stadt.

Flops

  • Hieß er Quincy Watts, der 400-m-Olympiasieger? Und hieß der Hürden-Champion Kevin Young? Beide taten hinter der Ziellinie nur so, als müssten sie durchatmen. Was war das für ein Cocktail? Wachstumshormone und Epo? Und wie hieß noch mal der griechische Olympiasieger, sorry: die Olympiasiegerin, über 100 Meter Hürden?
  • Dagmar Hase, die sich im Fernsehen mächtig beschwert, dass ihre Freundin Astrid Strauß (gedopt mit Erdbeerbowle) nicht dabei sein durfte – ein überflüssiger Ost-West-Konflikt.
  • Heike Drechsler: Gewinnt Gold und sagt danach, „die Beerendonk lügt“. Es folgte ein Prozess mit Geldstrafen gegen Drechsler, ihr Management und Journalisten wegen eidesstattlicher Falschaussagen.

Technik: Aus einem vergangenen Jahrtausend. Ein no-name-Laptop ohne Festplatte mit zwei Diskettenlaufwerken (eins für MS-DOS, eins für Works). Ein kleiner Drucker. Texte wurden ausgedruckt und für 5 Mark pro Seite einzeln gefaxt. Kann sich daran noch jemand erinnern? Ohne Handy.

JW Olympia-Akkreditierung Atlanta 1996

Atlanta 1996

Tops

Flops

  • Das Bomben-Attentat im Centennial Olympic Parc.
  • Die Eröffnungsfeier, ein dämliches Rodeo – trotz Ali.
  • Der Weltrekord von Michael Johnson über 200 Meter (19,32 s).
  • Claudia Poll und Michelle Smith de Bruin stehlen Franziska van Almsick und Dagmar Hase die Goldmedaillen.
  • Ronny Weller bleibt gegen einen Menschenfresser chancenlos.

Technik: Ein Highscreen-Laptop von Vobis (128 MB RAM, 540 MB Festplatte). Modem 14.400 kb, das reichte wenigstens, um manchmal bei Sports Illustrated vorbei zu schauen – und natürlich um die ENS-Nachrichten von Compuserve zu saugen. Handy: ein riesiges Gerät von Motorola.

JW Olympia-Akkreditierung Sydney 2000

Sydney 2000

Tops

Flops

Technik: Ein niedlicher Mini-Sony, nur 1,3 Kilo (256 MB RAM, 2 GB Festplatte), wunderbarer zweiter Akku (10 Stunden!). Blöd nur: Die Festplatte war voll und stürzte ständig ab. Weshalb offenbar das Netzteil durchbrannte. Die Lösung kostete einen halben Tag Zeit: Ein Japaner von der örtlichen Sony-Niederlassung war so nett, mir sein Netzteil bis zum Ende der Spiele zu borgen. Datenübermittlung: irgendwas mit 33.000 kb. Handy: Nokia (im Taxi liegen lassen), danach Prepaid von Telstra.

[Nachtrag am 4. August: Und einen wunderbaren MD-Recorder von Sony hatte ich als Aufnahmegerät mit. Irgendwann werde ich die Datei des Laufes von Cathy Freeman wiederfinden und als Hörprobe präsentieren.]

JW Olympia-Akkreditierung Athen 2004

Athen 2004

Tops

Flops

Technik: Laptop Samsung X10 (1 GB RAM, 60 GB Festplatte). Kamera: Sony F828. Datenübermittlung: so lala mit max. 56.000 kb. Handy: Nokia, Karte von Cosmotel.

JW Olympia-Akkreditierung Peking 2008

Peking 2008

Die Flopliste könnte ich eigentlich jetzt schon beginnen.

Technik: Völlig übertrieben, aber ich stehe zu dieser Krankheit, denn alles will ja für die Nachwelt fest gehalten werden: Laptops Sony VGN-SZ71 und VGN-FZ11S. Kameras Sony F828, Sony DCR-SR90E, Casio Exilim F1. Recorder Olympus LS-10. PDA HTC Touch Cruise mit Exchange. iPhone 2.0.

14 Gedanken zu „Peking, der Start und ein Rückblick“

  1. Und wenn Ronny Weller einfach auch gedopt war? Aber, obwohl, nee, der ist ja ein tapferer Pionier aus der DDR, der macht sowas natürlich nicht.

  2. wahrscheinlich war er das. aber bitte nicht unterstellen, ich würde nur den pionier so klasse finden, weil ich aus dem osten bin. sollte das gemeint sein, wäre es – sorry – ziemlich dämlich. mein olympisches steckenpferd war, immer auf der pressekonferenz nach wellers auftritten nach den dopingkontrollen zu fragen. weller hatte seine anti-doping-pässe mit allen eingetragenen kontrollen immer dabei und hat dann, 2000 in sydney, auch mal journalisten, die sich vorher noch über meine fragen beschwerten, darin blättern lassen. der sieger damals, der iraner, tat trotz mehrfacher nachfrage so, als habe er die frage nicht verstanden. der dritte, ein georgier-armenier, ich weiß nicht mehr genau, daneljan hieß er, ist nach der zweiten nachfrage von der pk verschwunden. ich schrieb (dummerweise fand ich das nicht mehr online): warten wir mal die dopingkontrolle ab. am schlusstag der spiele kam die meldung: daneljan – positiv.

  3. Nee, nach allem, was ich von Ihnen kenne, schätze ich Sie als kritisch genug ein, dass sie sowas bestimmt nicht finden. Klang in der Rückschau hier halt dennoch recht einseitig, so wie „der arme Ronny Weller, immer wird er von Dopern aus dem Rest der Welt verarscht“. Aber danke für die schnelle und ausführliche Antwort.

  4. wenn ich schon mal so in fahrt bin, hier habe ich den text auf der festplatte gefunden, den ich mal aus sydney zu weller geschrieben habe, ein aktueller spielbericht sozusagen. vorsicht, unredigiert:

    SYDNEY, 26. September. Vielleicht ist doch etwas dran der These, dass Olympische Spiele den Horizont erweitern, weil sie mit den Sitten und Gebräuchen anderer Völker vertraut machen. Wer sich je über die Sportreporter des deutschen Fernsehens mokiert hat, weil sie immer so gut befreundet sind mit den Athleten und diese ständig duzen, der registrierte am Dienstag im Convention Centre von Sydney erstaunt, dass diese TV-Unsitte in anderen Gegenden der Welt noch größere Blüten treibt.
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    Am Beispiel des iranischen Staatsfernsehens ließ sich das sehr schön beobachten. Nennen wir den vollbärtigen Reporter, dessen Namen nicht auszumachen war, weil die Akkreditierungskarte falsch herum baumelte, der Einfachheit halber den Waldemar „Waldi“ Hartmann des Iran. Der iranische Waldi heulte und schrie in die Kamera, als er über den sensationellen Olympiasieg seines Landsmannes Hossein Rezazadeh berichtete. Der 147 Kilo schwere Gewichtheber kam gerade von der Siegerehrung, da schmiss ihm sich Waldi um den Hals, küsste ihn vor laufender Kamera, brach erneut in Tränen aus und schwenkte schließlich ein Fähnchen, die Nationalflagge, zwischen sich und Rezazadeh. Die Gemeinde daheim und die Mullahs hat´s sicher gefreut.
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    Merkwürdige Sitten herrschen auch in der iranischen Olympiadelegation. Als sich der erst 22 Jahre alte Goldmedaillengewinner nach mehr als einer Stunde endlich zur Pressekonferenz begab, und die wenigen verbliebenen Journalisten etwas über die Zahl seiner Dopingkontrollen wissen wollten, antwortete statt Rezazadeh ein Funktionär. Der Mann musste mehrfach darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Athleten zu antworten haben – und nicht ein Soufleur. Aus dem babylonischen war dann zumindest herauszufiltern, dass Rezazadeh im Jahr 2000 angeblich drei Mal im Training kontrolliert worden sei. Einen Dopingpass konnte der Champion, der gerade drei Weltrekorde aufgestellt hatte jedoch nicht vorweisen. Der Deutsche Ronny Weller dagegen hatte eine halbe Stunde zuvor gleich vier Dopingpässe aus der Sporttasche gekramt: Zwei deutsche und zwei internationale. Weller baute die vier kleinen Heftchen, zwei orangefarben, zwei hellblau, vor sich auf dem Tisch vor vier Wasserflaschen auf.
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    Da saß er also hinter den Zeugnissen seiner Lauterkeit. Fünfzehn Mal wurde Weller in den vergangenen zwölf Monaten zur Dopingkontrolle gebeten, elf Mal davon unangemeldet in der Trainingsphase. So steht es in seinen Heftchen, die Weller nach der Pressekonferenz zur Besichtigung freigab. „Manche Kontrollen habe ich gar nicht eintragen lassen“, sagte Weller noch.
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    Weller hatte 1983 als „stärkster Pionier“ der Deutschen Demokratischen Republik eine großartige Laufbahn begonnen und wurde inzwischen zu „Deutschlands Gewichtheber des Jahrhunderts“ gekürt. Es waren seine vierten Olympischen Spiele. Zum vierten Mal kehrte er mit einer Medaille heim. 1988 holte er Bronze. 1992 Gold. 1996 Silber, wie diesmal auch. „Nur zu Platz zwei“, wie es ihm in den Mund gelegt werden sollte, das wollte Ronny Weller nicht sagen. Nicht nach diesem Wettkampf, den er als „Gewichtheben von einem anderen Planeten“ umschrieb: „Ich habe voll am Limit gehoben. Ich habe zwei Weltrekorde aufgestellt. Ihr deutschen Journalisten müsst auch mal den Ball flach halten. Ich bin zufrieden mit dem, was ich hier erreicht hab´.“
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    Als Weller vor vier Jahren in Atlanta im letzten Moment vom Russen Andrej Tschemerkin geschlagen worden war, hatte er anschließend auch seine Dopingpässe vorgekramt. Tschemerkin saß daneben und tat, als wisse er nicht, wovon die Rede war. Verärgert verließ er die Pressekonferenz. Diesmal war es der drittplatzierte Armenier Ashot Danielyan, der beim Thema Doping das Podium verließ. „Wupp, war er weg“, lästerte Bundestrainer Frank Mantek. Weller war Sportsmann genug, nichts Böses über seine Konkurrenten zu sagen, die mit exorbitanten Steigerungen aufwarteten. Auf die Frage, ob für ihn der Wettkampf erst beendet ist, wenn in spätestens zwei Tagen die Dopinganalysen vorliegen, antwortete Weller: „Für mich ist er beendet, das müssen sie den anderen fragen“ – und zeigte auf Danielyan, der gerade davonschlich.
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    Weller hat schon 1996 die überraschende Niederlage gegen Tschemerkin mit Fassung ertragen – anders als Manfred Nerlinger, der damals schimpfte, Tschemerkin sei ein „Menschenfresser“, dem man nicht trauen dürfe. Nun wurde Weller wieder von einem mysteriösen Aufsteiger auf Rang zwei verbannt. Von einem Iraner, über den er sagt: „Ich wusste nicht mal, wie er aussieht. Und wie er heißt, weiß ich bis heute nicht.“ Zu mehr ließ sich Weller nicht hinreißen. Er erträgt sein Los tapfer und kündigte an, im Jahr 2004 in Athen als erster Gewichtheber der Welt seine fünfte Olympiamedaille holen zu wollen.
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    Im Reißen hatte Weller souverän mit 200 Kilogramm begonnen. Danach scheiterte er an der Weltrekordlast (207,5 kg), die der Armenier Danielyan wenig später meisterte. Doch Weller konterte in seinem dritten Versuch: 210 kg, Weltrekord, aber nur für zwei Minuten – denn Rezazadeh wuchtete 212,5 kg über seinen Kopf. Im Stoßen ließen sich alle Kontrahenten erst einmal 250 kg gutschreiben. Azazadeh schaffte dann 255 kg. Weller ließ 257,5 kg folgen und stellte damit den frischen Zweikampfweltrekord des Iraners (467,5 kg) ein. Aufgrund des um 600 Gramm geringeren Körpergewichts lag Weller in Front. Rezazadeh stieg zum letzten Versuch auf die Bühne, betete den Allmächtigen an – und wurde erhört. „Mit Hilfe von Gott“, wie er später sagen sollte, stemmte er 260 Kilo und lag im Zweikampf mit Weltrekord (472,5 kg) wieder mit fünf Kilogramm vorn. Weller ließ 262,5 kg auflegen, forderte die Zuschauer zu Beifall heraus, während Mantek unten um Ruhe bat – die Deutschen schienen etwas verwirrt. „Ich wusste selbst nicht mehr, was zu machen war“, sagte Weller, „es ging hin und her, ich bin hoch und wollte es machen, da ist´s halt runtergefallen.“ Mantek sinnierte darüber, ob Weller nicht „hätte noch ein bisschen brutaler rangehen sollen“. Doch Kritik kam nicht über seine Lippen, im Gegenteil: „Ronny ist an seine Grenze gegangen, mehr kann man nicht erwarten.“
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    Was für den einen (Weller) die Grenze ist, ist für den anderen (Rezazadeh) offenbar nur die Zwischenstation auf dem Weg zum Ruhm. Die Steigerungsraten des Iraners (80 Kilo seit 1998) klingen wie ein Märchen aus tausend und einer Nacht. Um ihn jedoch wirklich als Olympiasieger zu betrachten, sollte man vielleicht noch zwei weitere Nächste abwarten. Spätestens dann liegen die Ergebnisse der Dopingproben vor.

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  8. Martin Sommerfeld

    Pionier oder nicht Pionier, das Weller-Fantum (sorry) ist irgendwie (sorry 2) putzig. ;-)))

    Drechsler-Beerendonk muss ich glatt nochmal genauer nachlesen.

    Aber 2000 nicht bei Ulles Meisterwerk an der Strecke gestanden zu haben… Schande!! :-))

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