Der Sport-Informations-Dienst (sid) hat mit sofortiger Wirkung seinen Redaktionsleiter Dieter Hennig abberufen. Dieses Gerücht waberte am Morgen durch das Main Press Centre. Ich habe beim sid-Geschäftsführer Michael Cremer nachgefragt. Cremer sagte, er werde zu Details von Personalien grundsätzlich keine Auskunft geben, bestätigte aber, dass Dieter Hennig frei gestellt ist:
Dieter Hennig wird als Privatmann am olympischen Fackellauf teilnehmen, aber nicht als Redaktionsleiter des sid.
Der Grund für die Suspendierung liegt offensichtlich in Differenzen über die Berichterstattung. Hennig hatte zuletzt am Freitag in Texten und einem Kommentar behauptet, China hätte die Internet-Zensur für olympische Berichterstatter aufgehoben. Tags darauf zog der sid fünf Texte vom Freitag zu diesem Thema zurück. Ich hatte in meinem ersten Blogeintrag aus Peking auf die Problematik aufmerksam gemacht, am Sonnabend ebenfalls berichtet. Stefan Niggemeier hat das Thema grundsätzlicher behandelt.
Anders als ich behauptete, ist Dieter Hennig aber nicht Chefredakteur des Sportinformationsdienstes gewesen. Der sid hat eine dreiköpfige Redaktionsleitung, zu der neben Dieter Hennig noch Angela Bern und Ralph Durry gehören. Hennig war als Chefkorrespondent auch für Sportpolitik zuständig, Durry ist Fußballchef, Angela Bern – die Teamchefin in Peking – für alle anderen Themen zuständig.
Dem Vernehmen nach hat es in der sid-Redaktion härtere Auseinandersetzungen um die Berichterstattung und den Kurs von Hennig gegeben. Cremer gab zu diesen Interna keine Auskunft. „Mir ist wichtig, dass alle anderen 79 sid-Kollegen, die sich um sauberen Journalismus bemühen und hervorragende Arbeit machen, nicht unter dieser Diskussion leiden“, sagte er. „Wir müssen in Peking differenziert berichten und dürfen uns nicht nur auf den rein sportlichen Aspekt beschränken. Wir dürfen nicht in so eine Hurra-Falle laufen.“
Michael Cremer war zwölf Jahre als Nachrichtenmann für die Agence France Press (AFP) tätig, inzwischen Eigner des in Neuss ansässigen sid. Vor seiner Zeit als sid-Geschäftsführer, das Amt trat er am 1. Mai 2008 an, war er ein Jahr bei n24.
Die IOC-Berichterstattung übernahm am Montag Christian Klaue aus dem Berliner Büro des sid. Dieter Hennig ist vom IOC für den 6. August als Fackelläufer eingeteilt – wie fünf andere Journalisten aus anderen Ländern, alle langjährige IOC-Berichterstatter. Am 7. August, einen Tag vor Eröffnung der Spiele der XXIX. Olympiade, wird Hennig wohl Peking verlassen. Im Herbst wäre er ohnehin in Ruhestand gegangen.
Cremer sagte, „anders als unterstellt wurde“ habe es „keinen Zusammenhang zwischen der Berichterstattung des sid und dem Fackellauf von Dieter Hennig gegeben“. Hennig vertrete seine Linie seit Jahrzehnten. Die Agentur habe am Freitag „einen Bock geschossen“. Für die Missverständnisse seien auch fehlende technische Kenntnisse verantwortlich gewesen, denn AFP-Techniker hatten eine besondere Internetverbindung hergestellt, auf deren Grundlage Webseiten zu erreichen waren, die in China gesperrt bzw. für andere olympische Berichterstatter zensiert werden.
Als Kollegen aus Deutschland auf die Unstimmigkeiten im Vergleich zu allen anderen Nachrichtenagenturen hingewiesen hatten, sei es leider schon zu spät gewesen. Am Sonnabendmorgen (2. August, Ortszteit Peking) wurden dann alle Meldungen zurückgezogen. Cremer:
Das ist für einen Agenturjournalisten der Killer. Das Schlimmste nach dem Fegefeuer.
Pingback: sid beruft Olympia-Mann ab « Stefan Niggemeier
Haben Sie das Gefühl, dass Sie Hennig (mit) zur Strecke gebracht haben? Und wenn ja, sind Sie stolz oder wenigstens zufrieden?
Pingback: Vip-Raum » Blog Archive » sid zieht Konsequenzen
Unglaublich gut, Ihr Peking-Blog! Vielen Dank für diese interessanten Aufzeichnungen an den Schnittstellen von Leben, Sportpolitik und Kritik.
Pingback: Franz Patzig
warte gespannt auf neue nachrichten von ihnen. diese kleinen geschichten geben einen schönen und auch anderen eindruck wider. freue mich, wenn sie etwas zeit finden und mehr von sich hören lassen.
Pingback: Peking, Tag 4 : jens weinreich
@ Christoph Wesemann: no comment.
Pingback: medienlese.com » Blog Archiv » 6 vor 9
Sehr interessant, vielen Dank! Es ist aber wohl eher das Schlimmste *vor* dem Fegefeuer. Um das zu erreichen muss man meines Wissens tot sein…
Pingback: Peking, Tag 6 : jens weinreich
Pingback: Beate Merk vs. Thomas Bach 0:6 : jens weinreich
Pingback: Das Urteil: Deutscher Skiverband ./. Hajo Seppelt : jens weinreich
Pingback: Wiener Blut : sport and politics
Pingback: IOC-Session in Sotschi, Ebook, ARD-Fackelläufer, Jung & Naiv • sport and politics
Pingback: Peking, Tag 6 • Sport and Politics
Pingback: Was vom Tage übrig bleibt (101): das Freund-Feind-Syndrom – IOC-Bach und der Journalismus • Sport and Politics