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Jens Weinreich

Lost in Sochi: Vulkanausbrüche und andere Kleinigkeiten

Dieser verdammte Eyjafjallajökull aber auch. Ich glaube ja fast, das wird hier ein Tage währender Live-Blog. Thema: Wie kommt Mann mit abgelaufenen Russland-Visum und trotz Asche-Wolke des Eyjafjallajökull wieder aus Sotschi nach Berlin?

Wir werden sehen. Wann immer ich kann, werde ich den Eintrag ergänzen. Derzeit lasse ich mir noch ein russisches Schaschlyk schmecken und versuche, nicht hektisch zu werden. Gegen die Kräfte des Eyjafjallajökull ist ohnehin kein Kraut gewachsen.

Ich wäre gestern gern Jean-Claude Killy gewesen. Der Franzose, Chef der IOC-Koordinierungskommission für die Winterspiele 2014 in Sotschi, hatte keine Probleme mit dem Heimflug. Killy ist Teilhaber eines Unternehmens, das Business-Jets vermietet. Als seine Arbeit im Grand Hotel Krasnaja Poljana, dem Edel-Ressort des Gazprom-Konzerns, getan war, flog er im eigenen Jet zurück nach Genf und war so nett, einige Kommissionsmitglieder mitzunehmen, etwa Gian-Franco Kasper, den Präsidenten des Ski-Weltverbandes. Als ich am Abend, nach einem langen Recherchetag in den Bergen, wieder in Sotschi war, sah ich im Hotel die Nachrichten vom Vulkanausbruch auf Island.

Hat jemand einen Tipp, wie ich wieder nach Hause komme?

Auf der Webseite des norwegischen Meteorologisk institutt fand ich eine hübsche Grafik, die die voraussichtliche Entwicklung der Aschewolke zeigt. Es geht gen Süden und irgendwie auch gen Russland. So soll es gegen Mittag aussehen.

Nachdem es erst so schwer war, nach Russland zu kommen, und die Arbeit dort auch nicht unbedingt relaxt, wird es scheinbar noch sehr kompliziert, das Land wieder zu verlassen. Mein Visum gilt nur bis heute 24 Uhr. Und ich fliege mit Aeroflot, mein Vertrauen hält sich also in Grenzen. Mal sehen, was mich noch erwartet. Wird bestimmt spannend.

Berichte und Bilder aus dem Kaukasus folgen später.

12.38 Uhr: Die ersten Tipps in den Kommentaren sind ja gar nicht schlecht. Durchgespielt habe ich nun schon:

  • St. Petersburg – Helsinki – Taxi über das Nordkap nach Berlin
  • Zugfahrt Moskau – Minsk (Übernachtung bei Lukaschenko) – Warschau – Berlin
  • Odessa – Kiew – Berlin
  • Trabzon – Istanbul – Berlin (aber aus Istanbul schreibt mir gerade eine norwegische Kollegin, dass sie dort festhängt auf unbestimmte Zeit)
  • Für einen Fußmarsch habe ich leider keine Zeit.

Ich denke, dass – wie ein gemeiner Kommentator schreibt, auch gegen einen Live-Blog aus russischer U-Haft nichts einzuwenden wäre, sollten die Milizionäre in Moskau-Scheremetjewo kein Verständnis für das heute um Mitternacht abgelaufene Visa Visum haben.

Zum Thema Zugfahrt schreibt mir gerade ein guter Bekannter:

Falls Du wirklich auf den Zug durch die Ukraine nach Berlin angewiesen bist, vergiss nicht, Futter einzupacken. Als ich gefahren bin (35 Stunden), gab es kein Bordrestaurant. Allerdings hält der Zug immer mal wieder 20 Minuten. Dann stürmen Mütterchen heran und verkaufen alles: Brote, Hähnchen, Nüsse, Bier, Kaviar, getrockneten Fisch.

Zugfahrt ist erträglich; Waschbecken, zwei Klos. Nach 30 Stunden fangen aber dann doch die Füße an zu riechen, besser gesagt: Sie riechen wahrscheinlich vorher schon, aber nach 30 Stunden merkt man es auch selbst. Wenn Du Glück hast, kannst Du ein Einzelabteil erschnorren vom Schaffner. Wenn Du ihm am Anfang was zusteckst, wird er das nicht vergessen, kennste ja sicher schon. Möglicherweise kannst Du ihm auch von Deinem Dilemma erzählen; die Schaffner haben immer ganz gute Kontakte zu den Grenzern, weil hin und wieder doch mal was rübergeschmuggelt wird. Bei meiner Fahrt damals schauten Schaffner und Zöllner gemeinsam DVD-Filmchen auf dem Schaffnerlaptop, bis der Waggon kontrolliert war.

DVDs habe ich dabei. Aber ich glaube, die Zugfahrt kommt eher nicht in Frage. Weder von Sotschi, noch von Odessa, noch von Simferopol oder Trabzon. Stattdessen werde ich wohl erstmal nach Moskau fliegen. Wenn etwas fliegt.

Dass Aeroflot unerschrocken den Flugverkehr aufrecht hält, hatte ich ja schon vermutet. Auf der Webseite des Flughafens Schönefeld, wo ich kurz vor Mitternacht landen sollte, gaben die Russen vor wenigen Minuten noch grünes Licht:

Inzwischen heißt es dort nur noch:

Sotschi 2014: Winterspiele unter Palmen

SOTSCHI. Es wird Sommer. Auf der Strandpromenade tragen die Männer ihre neuesten Adidas-Trainingsanzüge aus. Die Frauen führen Gucci-Handtäschchen, Bierbüchsen, Hündchen und Babys spazieren. Eine gewöhnungsbedürftige, aber doch sehr interessante, bunte Mischung. Das schaue ich mir mal ein paar Tage an, höre mich um und beobachte die IOC-Koordinierungskommission bei ihrer Arbeit. Die Vorbereitungen auf die Winterspiele 2014 unter Palmen (ganz speziell) und der russische Sport (ganz allgemein) rücken jetzt für vier Jahre in meinen Fokus. Den großen Fang hat Sotschi ja schon 2007 in Guatemala gemacht, nun schauen wir mal, wie die Beute aufgeteilt und wer außer den Oligarchen und Politniks etwas von den Spielen haben wird.

Angler am Hafen von Sotschi

Joseph Blatter und die große Zürcher Langeweile

Vor einigen Jahren hat mich Joseph Machiavelli Blatter, Friedensnobelpreisträger in spe und derzeit noch FIFA-Präsident, mal für ein TV-Interview in sein Zürcher Domizil eingeladen. (Zumindest in jene Wohnung, die er mir als sein Domizil verkaufte.) Dort plauderten wir über Otto Schily und die ISL, über Ruhm und Korruption und die Jungfrau Maria von Guadalupe, über Beziehungskrisen und damit also auch über seine Einsamkeit. Dann löste Sepp vor der Kamera ein Puzzlespiel, das ich ihm mitgebracht hatte: Die neun Gesichter des Joseph B. …

… und ging schließlich auf seinem Lieblingsplatz in Stellung, auf seiner roten Fernsehcouch …

Wenn er ausnahmsweise mal daheim ist in Zürich (und nicht gerade in sein Reduit ins Wallis rast), dann guckt er gern in die Glotze. Fußball, Krimis, Nachrichten, was halt so anliegt. Dabei kann er sich am besten entspannen, sagt Sepp. Ich meine, wer macht es sich nicht gern auf der Couch bequem? Sepp ist auch nur ein Mensch, ein besonderer zwar, Friedensnobelpreisträger in spe, aber noch immer ein Mensch.

Komisch, ich musste an Sepp auf dem Sofa denken, als mir ein Freund gestern den Link zu einer Geschichte auf 20 minuten online schickte. Sepp Blatter motze und lästere über Zürich, heißt es da. Die Stadt sei „langweilig, langweilig, langweilig“.

Im WM-Stadion von Kapstadt wird Blatter auf einer Tafel so zitiert:

„Leben ist Rhythmus und Rhythmus Leben. In Zürich gibt es nicht viel Rhythmus. Sie müssen wissen, Zürich liegt im deutschsprachigen Teil der Schweiz und das heisst, es ist langweilig, langweilig langweilig.“

In Zürich finden sie das gar nicht so lustig. Weshalb ich die knapp 300 Kommentare unter dem Beitrag empfehle. Die NZZ ist inzwischen auch darauf eingestiegen.

Einer meiner Favoriten-Kommentare ist natürlich der von Mike:  

Medwedew, Sotschi 2014 und das Vancouver-Nachbeben

Kleiner Nachtrag zum russischen Sport und den Reaktionen auf das Vancouver-Desaster: Einer meiner Lieblings-Websites verdanke ich einmal mehr unterhaltsame Lektüre. Also ich finde diesen Vortrag des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew vom vergangenen Freitag vor Russlands Sportführung in Sotschi höchst interessant und aus vielerlei Gründen einen Lesebefehl wert. Nachdem er den Sportbossen die Leviten gelesen hatte, fuhr er mit Putin Ski.

In diesem Text suche ich allerdings jene Passagen vergeblich, aus denen etwa die Moscow Times ihren Beitrag strickt. Demnach hat Medwedew der Korruption im russischen Sport und unter den Sportfunktionären den Kampf angesagt und Maßnahmen angedroht. Das wird noch interessant.

Kleinigkeit am Rande, falls es untergegangen sein sollte: Gemäß Sportminister und FIFA-Exekutivmitglied Witali Mutko sind zwischen 2006 und 2009 insgesamt 343 russische Athleten des Dopings überführt worden. Alles Einzelfälle.

Nachtrag am 1. April (kein Witz) mit Dank an Nosch: Im Video wird ab ca. 9:00 über Doping gesprochen, da sagt Mutko tatsächlich, soviel Russisch verstehe ich schon noch: 343 Athleten!

[Update:] mittlerweile nicht mehr (online verfügbar)

Mutko, kürzlich erst als Präsident des russischen Fußballverbandes von Medwedew rasiert, steht scheinbar vor seinem Rücktritt. Heute musste er sich im Parlament verteidigen.

Hier nun Medwedews Rede, wie sie der Kreml dokumentiert:

Opening Remarks at Meeting of the Council for the Development of Physical Culture and Sport, Excellence in Sports, Preparation and Organisation of the 2014 Sochi XXII Winter Olympics and XI Paralympics and the 2013 XXVII World Student Games in Kazan

March 26, 2010, Sochi

PRESIDENT OF RUSSIA DMITRY MEDVEDEV: Colleagues, A month has gone by since the Vancouver Olympics came to a close. This is enough time for us to have analysed our national team’s performance, drawn our conclusions, and responded with practical measures that will ensure our team’s success at the 2014 Olympics in Sochi.

As far as the conclusions go, eleventh place in the overall team ranking is obviously a bad result which has its roots in causes that reach back quite a way now. Indeed, our teams have shown worsening results in terms of the numbers of medals won over the years from 2006 to 2010. Even in winter sports in which our athletes have traditionally been victorious we all see that over these last years we have been steadily lagging behind our main competitors.

Yet at the same time, we have been investing just as much in training our athletes as have other countries. Indeed, to be absolutely frank, in a number of cases we have even invested more than other countries. The problem today is not so much in a lack of [financial] resources as in their ineffective use, and that is the first point I want to make. I will not name the figures as you all know them well, but however we look at it, we have invested tenfold more than in earlier years.

The second point is that this situation has shown up the shortcomings in our entire athletes training system. As it has been said before, this system must be centred above all on the athletes themselves. In all of the world’s sports powers training programmes and methods take into account each future Olympic competitor’s specific individual particularities, so as to ensure they take their places at the starting line in top shape.

The level of medical, biological and scientific support for the teams plays a crucial part in this respect but we only began using this comprehensive approach in our team’s training last year, and we may as well not hide the fact that it is not yet implemented in full. The task therefore is to dramatically change this situation drawing on the most advanced international experience in this area.

Dopingbericht 2008 und säumige Verbände: Christoph Bergners Brief an Dagmar Freitag

Nach meinen Beiträgen über die Antidopingberichte 2008 und jene Verbände, die gemäß BMI-Staatssekretär Christoph Bergner (CDU, Präsident des SV Halle) wegen ihrer Versäumnisse mit Rückzahlungen belangt werden, haben sich einige Verbandspräsidenten bei mir gemeldet. Sie warfen mir vor, das Material des BMI ungeprüft verbreitet zu haben, und warfen dem BMI Dinge vor, die ich lieber nicht wiederhole. Bin gespannt, ob sie ihre Ankündigungen wahrmachen, juristisch gegen Bergner & Co. vorzugehen. Ich glaube es natürlich nicht, dafür sind ihre Abhängigkeiten zu groß. Sie hängen am Tropf des Staates, sie sind teils auch personell zu sehr im sportpolitischen Komplex verstrickt und verquickt.

Kurz nochmal die Texte, um die es geht:

Den Vorwurf, etwas ungeprüft zu übernehmen, finde ich einerseits absurd belustigend. Denn dieser Termin im Bundestags-Sportausschuss, bei dem Bergner nach monatelanger Diskussion (die ich stets begleitet und durchaus mit initiiert habe, ob nun hier, im Deutschlandfunk oder in Zeitungen) endlich einige Fakten preis gab, war natürlich auch für andere Journalisten Anlass genug, aktuell darüber zu berichten. Einige dieser Berichte habe ich verlinkt und selbstverständlich stets darauf hingewiesen – und zwar seit anderthalb Jahren/auch schon beim Dopingbericht 2007 -, wie sich die Abläufe gestalten. Wenn dann aber ein Parlamentarischer Staatssekretär viel zu spät den Parlamentariern eingeschränkt Bericht erstattet und Unterlagen vorlegt, darf man wohl davon ausgehen, dass auch alles seine Richtigkeit hat. Die Kritik der Verbände, einige Namen darf ich leider nicht nennen, richtete sich indes vor allem auch dagegen, dass das BMI ihnen Fristen zur Stellungnahme eingeräumt hatte, der unter Druck geratene Bergner aber seine Liste verbreitete, noch bevor Fristen verstrichen waren.

Andererseits ist es also ganz offenbar so, dass das BMI und Bergner eben nicht sauber vorgegangen sind. Das hätte man, das hätte ich ahnen müssen. Man könnte also sagen: Ich habe die Unterlagen erhalten, die ein Staatssekretär einem parlamentarischen Kontrollorgan vorlegte und dachte wirklich, ich Trottel, dass ich das glauben dürfe, dass das so seine Richtigkeit habe. Für so ein foolishes Verhalten kann ich mich nur entschuldigen. Es graust mich geradezu: Habe ich tatsächlich BMI-PR betrieben?

Soweit ich es übersehe, haben sich aber nur zwei der 19 betroffenen Verbände öffentlich dazu geäußert (ich lasse mich gern korrigieren):

Stil- und Textkritik: der FIFA-Ethikcode

Wir müssen die ethischen und moralischen Grundsätze des Sports für zukünftige Generationen schützen und fördern.

— Lord Sebastian Coe, ehemaliger FIFA-Ethikchef, IAAF-Vizepräsident, Organisationschef der Olympischen Spiele 2012 und IOC-Mitglied in spe, bei Amtsantritt als Sepp Blatters Ober-Ethiker

Hoppala! Hatte ich nicht kürzlich angemahnt, dass der FIFA derzeit eine Ethik und eine Ethik-Kommission fehlt? Nach dem erfolgreich eingereichten Urlaub von Lord Sebastian Coe war ja nicht nur der Posten des Kommissionschefs verwaist, bis vor wenigen Tagen existierte nicht einmal mehr ein Gebilde, das sich in irgendeiner Weise mit, nun ja, ethischen Fragen hätte beschäftigen können.

Das amtlich bestätigte Ergebnis unserer freundlichen Umfrage hier im Blog hat FIFA-Präsident Joseph Machiavelli Blatter allerdings ignoriert: Statt des Investigativjournalisten Andrew Jennings wurde Claudio Sulser neuer Ober-Ethiker der FIFA.