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Das Olympische Bildungsmagazin

Notizen vom Sportausschuss (11): „eine besondere Art Mensch“

(Die Notizen von Robert Kempe, der freundlicherweise die Berichterstattung über die Umfaller und Sportlobbyisten aus dem Bundestag übernommen hat, sind jetzt komplett online. Vielen Dank noch einmal an Robert! Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, Aussagen der kenntnisreichen und aufrechten Volksvertreter mitunter zu kommentieren und habe das kenntlich gemacht.)

Zuvor noch der Beitrag von Herbert Fischer-Solms im Deutschlandfunk:

:

Hier der Bericht:

von Robert Kempe

Ein straffes Programm gibt die 77. Sitzung des Sportausschuss heute vor, 15 Punkte gilt es abzuhandeln. Als sicher am interessantesten zu beurteilen sind die Tagesordnungspunkte:

  • Antrag der Grünen zur umfassenden Aufarbeitung der Dopingvergangenheit
  • Abschlussbericht der Schäfer-Kommission Freiburg
  • Umgang mit ehemals in Dopingpraktiken verwickelten Trainern

Darauf werde ich mich auch hauptsächlich konzentrieren.

Der Antrag der Grünen, Tagesordnungspunkt 2, den Winfried Hermann in diesem Blog auch schon vor geraumer Zeit in den Kommentaren verlinkt hat, wurde nach hinten verschoben. Der Sportausschuss ist heute erwartet gut besucht. Neben vielen Medienvertretern sitzen u.a. Ute Krieger-Krause, Andreas Krieger sowie Uwe Trömer im Publikum. Nachdem die Anträge und Entwürfe abgestimmt wurden, geht es nun um den Abschlussbericht der Dopingkommission-Freiburg:

Peter Danckert (SPD/Pferdesportverband Berlin-Brandenburg) dankt Hans Joachim Schäfer für seine geleistete Arbeit und hofft, dass alle Ausschussmitglieder den Bericht gelesen haben.

Hans Joachim Schäfer bewertet in seinem Eingangsstatement erstmal seine Anreise nach Berlin: Die ersten 800 km wären wohl gut, die letzten 200 m hinein in die Tiefgarage aber mehr als anstrengend gewesen, letztendlich hat er es doch geschafft.

Hans Joachim Schäfer, der nach eigenen Aussagen zu diesem Job gekommen ist wie „die Jungfrau zum Kind“, fasst noch einmal den Zwischen- und Abschlussbericht zusammen. Er ist zur Einsicht gekommen, dass Radfahrer „eine besondere Art Mensch“ seien, die heute teilweise massiv durch ihre Anwälte abgeschirmt werden, was es schwer machte, Informationen von ihnen zu erhalten.

Er hebt hervor, dass jetzt die große Frage ist, wie es mit den Ärzten weiter geht. Vor allem die Blutdopinggeschichte mit dem verklumpten Blut bei Patrick Sinkewitz ist dabei für die Staatsanwaltschaft interessant.

So darf ein Arzt sich nicht verhalten!

Schäfer bekennt, dass die Kommission es nicht geschafft hat zu klären, woher das Epo kam und wie viel verwendet wurde. Dazu wertet die Staatsanwaltschaft immer noch Computer aus, um Hinweise zu erhalten. Doch glaubt er schon, dass sein Bericht gerichtsfest ist. Während er nach dem Vorabdruck im Spiegel noch Briefe von Anwaltskanzleien erhielt, sei es nach der endgültigen Vorstellung relativ ruhig geblieben. Er hat auch nicht vor, seine Zeit als Pensionär mit Prozessen zu verbringen.

Dagmar Freitag (SPD/Vizepräsidentin DLV): Hat nach eigener Aussage nichts anderes erwartet. Bei der Lektüre des Berichts hat sie in ein „moralisch, ethisch verkommenes System“ geschaut. Sie wertet es als Scheitern. Als Vorgriff auf den letzten Tagesordnungspunkt blickt sie in ihrem Statement zurück in die 70er Jahre und wundert sich nicht mehr. Sie will wissen, wo es Ansatzpunkte gibt, dieses verkommene System zu beseitigen. Außerdem stellt sich für sie die Frage, ob den Ärzten nicht die Approbation aberkannt werden sollte.

Als Reaktion meint Schäfer, dass dies geprüft werden müsste.

Detlef Parr (FDP): Er möchte mit etwas Positiven anfangen und stellt heraus, dass sowohl Prof. Dickhuth als auch Prof. Berg laut Abschlussbericht nichts vorzuwerfen sei. Man solle endlich aufhören, Generalverdacht an der Universität Freiburg zu äußern.

(Huch! Völlig überraschend, Herr Parr!/JW)

Katrin Kunert (Die Linke): Sie bringt der Abschlussbericht an „die Grenzen des Optimismus.“

Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen): Ist erschüttert, dass unter dem Dach der Sportmedizin in Deutschland, die öffentlich gehätschelt und gefördert wurde, so etwas passiert ist. Er will wissen, wo und wann öffentliche Gelder an die Ärzte Schmid und Heinrich geflossen sind. Er fragt nach Konsequenzen.

Christoph Bergner (BMI/CDU/SV Halle): Gibt an, dass keine Gelder in den Bereich Doping in Freiburg geflossen seien, doch weitere Prüfungen durch das BVA laufen. Des Weiteren ist für das BMI jetzt aber die Staatsanwaltschaft gefordert. Christoph Bergner wundert sich, dass den Ärzten noch nicht die Approbation entzogen wurde.

Jetzt geht es um den „Umgang mit ehemals in Dopingpraktiken verwickelten Trainern“

Klaus Zöllig (DOH e.V.): Er hält ein komprimiertes Eingangsstatement. Wichtig ist für den DOH die Prävention. Deswegen ist auch der Blick auf die Trainer wichtig. Dabei ist er „nicht scharf darauf, nur Osttrainer anzugreifen“, es geht auch um Trainer aus dem Westen. An der momentanen Diskussion trägt nicht nur der Fall Goldmann Schuld, sondern eher die Tatsache, dass nach 20 Jahren Schweigen „im Konjunktiv über die Dopingopfer gesprochen“ wird. Und da ist „das Fass übergelaufen“. Daraufhin hat er wütende Anrufe von Dopingopfern bekommen. Das ist auch ein Anlass für die Einreichung der Petition gewesen.

Michael Vesper (DOSB-Generaldirektor/Bündnis 90/Die Grünen): Laut ihm soll es auch für die Olympischen Spiele in Vancouver wieder eine Trainererklärung geben. Außerdem ist es wichtig, jeden Einzelfall zu betrachten, nur steckt man in dem Dilemma, dass es im Gegensatz zum Problem der Stasivergangenheit keine Unterlagen und Akten gibt, so dass man sich auf Zeugen verlassen muss.

(JW sagt: Oh Gott, was für ein unglaublicher Unsinn. Eine Frechheit. Die Negierung historischer Prozesse, Doping-Doktorarbeiten, ZERV-Ermittlungsergebnisse und vieler anderer Unterlagen. Ein Teil der neuen Argumentation des organisierten Sports.)

Helmut Digel (Universität Tübingen/IAAF/DLV): Spricht auch im Namen von DLV-Präsident Clemens Prokop und berichtet für das Präsidium des DLV seit 1993. Der DLV war schon immer bemüht in der Dopingopferproblematik, betont er, doch wundert er sich, dass immer nur über eine Sportart gesprochen wird. Er widerspricht Darstellungen, dass der DLV sich nicht um die Opfer gekümmert habe und verweist auf die Briefe von Clemens Prokop. Anschließend steigt er in seine Argumentation ein, die hier nur skizziert wird.

  • Die Trainer waren Teil eines Manipulationssystems und wurden durch die medizinische Kommission gesteuert.
  • Es kann für ihn nicht sein, dass Trainer von Dopingpraktiken nichts wussten. Er kennt auch Athleten, die darum gebeten haben. Für ihn stellt sich die philosophische Frage, inwieweit Täter und Opfer im Hochleistungssport changieren.
  • Es kann aus der Diskussion keine neuen Erkenntnisse geben – „sie liegen auf dem Tisch“. Gegen eine Weiterbeschäftigung der Trainer, die seit 16 Jahren im DLV sind, ist nichts einzuwenden.

(Interessant anzumerken ist, dass er von einem Dopingproblem im deutschen Hochleistungssport auch der deutschen Leichtathletik noch heutzutage spricht.)

Klaus Riegert (CDU/Schwäbischer Turnerbund): Meint, dass man keinen Schlussstrich ziehen darf und die Diskussion weiterführen muss, auch wenn sie unangenehm ist. Die Steiner-Kommission ist die richtige Antwort des Sports. Den Antrag der Grünen beschreibt er als populistisch, oberflächlich, inhaltlich falsch und gefährlich, da er weitere Geständnisse erschwere.

Wolfgang Grotthaus (SPD):

(JW: Huch, dass der sich mal meldet, nie selten erlebt)

Ihn stört es ebenfalls, dass es nur um die Leichtathletik geht und verweist auf den Wintersport. Er fragt ob man den „Rücken so steif machen und keine Erklärung unterschreiben“ muss, „um weiter zu kommen.“ Er plädiert für eine zweite Chance und zieht den Kapitalverbrechensvergleich. Die Vergangenheitsaufarbeitung zu Gunsten der Opfer im Osten soll auch auf den Westen ausgedehnt werden.

Detlef Parr (FDP): Fragt, warum sich prominente Dopingopfer nicht an Präventionsprojekten beteiligen.

(JW: Entschuldigung, dass ich das hier kommentiere: Aber diese Frage ist keine Frage, sondern eine Frechheit. Wer sich dafür interessiert, sollte mal Dopingopfer fragen, wie sehr sie bisher in Präventionsprojekte des Sports einbezogen wurden und was aus ihren eigenen Vorschlägen dazu geworden ist.)

Ob das vielleicht mit dem Täter-Opfer-Changieren zu tun haben kann, den Prof. Digel anführte? Der Antrag der Grünen ist für ihn Populismus und ein Schnellschuss. Er verweist auf das Projekt des BISp.

(JW: Oh ja, das BISp-Projekt, oh ja, die Propaganda des Sports. Dazu ist hier schon viel gesagt worden, u.a. von Gerhard Treutlein.)

Winfried Hermann (Die Grünen): Die Diskussion kommt immer wieder. Vielleicht „weil es keine konsequente Aufarbeitung gab“. Der Umgang mit den in Dopingpraktiken verwickelten Trainern ist inkonsequent. Er verteidigt den Antrag der Grünen u.a. damit, dass es keine Aufarbeitung gab, die die Rolle des BMI und des BISp mit einbezog. Er verweist auf die oft geäußerte kollektive Empörung im Ausschuss, nach der es danach meist nicht weitergeht und „der Schwanz eingezogen“ wird.

Dagmar Freitag (SPD/DLV): Sagt, dass man darauf achten muss, dass die Diskussion nicht in ein Schreckensfahrwasser kommt. Das Thema ist in Ost und West jahrzehntelang bekannt. Sie bedauert es, dass Bundesinnenminister Schäuble nicht anwesend ist, den sie angefragt hatte. Sie weiß auch nicht ob alles aufzuarbeiten der richtige Weg ist, da man doch schon fast alles wisse. (Sie verweist auf die einschlägige Literatur u.a. Berendonk, Treutlein und Singer) Sie fragt sich ob, die Anrufe von Dopingopfern, die Klaus Zöllig erhielt, wirklich die Mehrheit repräsentiert. Bei ihrer Partei hat sich niemand gemeldet. Sie wünscht sich, dass die Erklärungen persönlicher und individueller ausgefallen wären.

Peter Danckert (SPD/Pferdesportverband Berlin-Brandenburg): Betont, dass sich nicht jedes Mitglied im DOH gleich ein staatlich anerkanntes Dopingopfer ist. Die Erklärung der fünf Trainer sind „Steine statt Brot“, eine exzellente Erklärung durch teure juristische Beratung. Jedes Wort führt zu nichts.

Der Antrag der Grünen wird abgelehnt.

18 Gedanken zu „Notizen vom Sportausschuss (11): „eine besondere Art Mensch““

  1. Die aussagekräftigste Äußerung von Vesper:

    Außerdem ist es wichtig, jeden Einzelfall zu betrachten, nur steckt man in dem Dilemma, dass es im Gegensatz zum Problem der Stasivergangenheit keine Unterlagen und Akten gibt, so dass man sich auf Zeugen verlassen muss.

    Das heißt ja wohl, die Steiner-Kommission verzichtet auf vorliegende Akten und Unterlagen: des DDR-Sports, der ZERV, auf Gerichtsurteile …

  2. OT: Ich Depp war gestern bei einem Orthopäden, der, wie ich nachher erfahren habe, wegen Dopings verklagt und bestraft wurde. Demnächst früher und genauer googlen! Aber wer kommt denn auf sowas?

  3. Markus Völker in der taz: Weihe für Opportunisten

    Der Sportausschuss war schon einmal weiter in der Analyse des DDR-Dopings, Danckerts Ausführungen und die seiner Kollegen markierten einen Rückfall in die 90er-Jahre.

    Jörg Winterfeldt in der WELT: Die moralische Schuld der Doping-Trainer bleibt

    Nach den Kriterien, die DLV-Ehrenpräsident Helmut Digel den Parlamentariern vortrug, hätte Goldmann in den 90er-Jahren aussortiert werden müssen, als sich reihenweise Zeugen für Minderjährigendoping fanden: Annette Wolf und Simone Kischnick vom TSC Berlin stellten Strafantrag gegen ihn.

  4. Christian Heinig im ND: »Alles nur Gerede«

    »Bereits vor anderthalb Jahren haben wir die Mittel dazu bewilligt«, hatte Hermann zuvor in Richtung des Ausschuss-Vorsitzenden gesagt – als die Rede vom geplanten Forschungsauftrag war, der Doping in Ost und West aufarbeiten soll

  5. Schwäbisches Tagblatt: Es wurde noch nie so viel betrogen

    Digel beklagte auch das teure Kontrollsystem der NADA, das der Praxis der systematischen Doper meist hinterher hinke. „Es ist eine Illusion zu glauben, in Deutschland hätten wir das beste Kontrollsystem und keiner würde dopen. Wir setzen auf ein System, das von den Athleten systematisch unterlaufen wird.“

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  9. Die Strafen bei Doping im Pferdesport müssen aus Sicht von Peter Danckert neu geregelt werden. „Ich schlage vor: Sperrt im Dopingfall die Pferde, nicht die Reiter“, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses in seiner Funktion als Präsident des Landesverbandes Pferdesport Berlin-Brandenburg. Den Reiter für Doping haftbar zu machen, halte er für falsch. Danckert argumentiert, es sei für den Laien beinahe unmöglich, die vom Mediziner zu genehmigende Medikation und Doping auseinanderzuhalten.

    Ich glaube, hier macht sich Danckert lächerlich. Jeder andere Leistungssportler (das sind eben keine „Laien“) muss das auch können.

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  11. Da würde sich aber der Besitzer freuen, wenn er in der Zwangspause endlich richtig Geld verdienen könnte, Herr Danckert. Die Deck-Taxe von Cornet Obolensky, um mal ne Hausnummer zu nennen, beträgt laut Internet 2000 Euro; ich hatte neulich 3000 gehört. Wenn sie den während so ner Sperre mal ordentlich abpumpen könnten … Abgesehen davon: So mancher Reiter hat ja nicht nur ein gutes Pferd im Stall, sollen die dann ungestraft weitermachen dürfen? Tzzzz….

  12. Nach den ethischen Grundsätzen der Deutschen Reiterlichen Vereinigung übernimmt der Reiter die Verantwortung für das ihm anvertraute Lebewesen.
    Das bedeutet das der Reiter bei einem positiven Dopingbefund im Reitsport zusätzlich zur Dopingsperre auch die Verantwortung aus der Zuwiderhandlung gegen das deutsche Tierschutzgesetz tragen muss.
    Die Motivation zu den von Herrn Dankert getägigten Aussagen können nur mit dem anhaftenden Interessenkonflikt in seiner Funktion als Präsident des Landesverbandes Pferdesport Berlin-Brandenburg vermutet werden.

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